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Geltungszeitraum von: 01.01.2013

Geltungszeitraum bis: 30.06.2022

Kirchengesetz
über den Umgang mit Verletzungen der sexuellen Selbstbestimmung durch beruflich und ehrenamtlich Mitarbeitende in der Evangelisch-reformierten Kirche

vom 22. November 2012

(GVBl. Bd. 19 S. 336)

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§ 1
Grundsatz

( 1 ) Dieses Gesetz dient dem Schutz der Opfer von Verletzungen der sexuellen Selbstbestimmung und dem Schutz kirchlicher Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen vor ungerechtfertigten Beschuldigungen sowie der Kooperation mit den Strafverfolgungsbehörden und anderen staatlichen Behörden.
( 2 ) Der Schutz der Opfer von Verletzungen der sexuellen Selbstbestimmung und die Einschaltung der Strafverfolgungsbehörden geht dem kirchlichen Eigeninteresse und der Rücksichtnahme auf die Interessen verdächtiger Personen vor.
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§ 2
Kooperation mit staatlichen Behörden

( 1 ) Beim Verdacht einer Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung haben die dienstlich Zuständigen grundsätzlich die Strafverfolgungsbehörden und erforderlichenfalls staatliche Aufsichtsbehörden zu informieren und mit diesen eng zu kooperieren.
( 2 ) Von der Einschaltung der Strafverfolgungsbehörden und staatlicher Aufsichtsbehörden kann nur abgesehen werden, wenn dies dem ausdrücklichen Wunsch der betroffenen Person oder deren Sorgeberechtigten entspricht und der Verzicht auf eine Mitteilung rechtlich zulässig ist. Ein Verzicht ist nicht zulässig, wenn eine konkrete Gefahr für weitere Personen besteht.
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§ 3
Meldepflicht

Alle haupt- und ehrenamtlich Mitarbeitenden in der Evangelisch-reformierten Kirche, die Grund zum Verdacht einer Sexualstraftat im kirchlichen Bereich haben, sind verpflichtet, entsprechende Hinweise unverzüglich an den oder die dienstlich Zuständigen weiterzugeben.
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§ 4
Dienstlich Zuständige

Der Kirchenpräsident oder die Kirchenpräsidentin ist im Sinne dieses Kirchengesetzes dienstlich zuständig. Er oder sie kann andere mit der Wahrnehmung seiner oder ihrer Aufgaben beauftragen.
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§ 5
Maßnahmen

( 1 ) Der oder die dienstlich Zuständige muss bei Verdacht einer Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung die Strafverfolgungsbehörden und erforderlichenfalls die staatlichen Aufsichtsbehörden informieren; § 2 Absatz 2 gilt entsprechend.
( 2 ) Der oder die dienstlich Zuständige leitet bei Verdacht einer Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung die notwendigen arbeits- oder dienstrechtlichen Verfahren ein. In den arbeits- und dienstrechtlichen Verfahren ist die rechtsstaatlich garantierte Unschuldsvermutung für beschuldigte Personen bis zur rechtskräftigen Verurteilung zu berücksichtigen; dies schließt eine Verdachtskündigung jedoch nicht aus.
( 3 ) Der oder die dienstlich Zuständige führt im Falle von Gerüchten und anonymen Hinweisen eine juristisch und fachlich fundierte Plausibilitätsprüfung durch; kommt diese zu dem Ergebnis, dass tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Sexualstraftat im kirchlichen Bereich bestehen, ist nach den Absätzen 1 und 2 zu verfahren.
( 4 ) Erweist sich ein Vorwurf oder Verdacht als unbegründet, werden die notwendigen Schritte unternommen, um den guten Ruf der fälschlich beschuldigten oder verdächtigten Person wiederherzustellen; ergangene arbeits- oder dienstrechtliche Maßnahmen sind nach Möglichkeit rückgängig zu machen.
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§ 6
Ansprechstelle

( 1 ) In der Evangelisch-reformierten Kirche wird eine Ansprechstelle für die Opfer von Verletzungen der sexuellen Selbstbestimmung als Vertrauens- und Clearingstelle eingerichtet. Sie klärt den Beratungs- und Hilfebedarf betroffener Personen und versucht Unterstützung zu vermitteln. Die Beratungsstelle steht auch Zeugen und Tätern von Verletzungen der sexuellen Selbstbestimmung als Beratungsstelle zur Verfügung.
( 2 ) Die Ansprechstelle soll organisatorisch so von den kirchlichen Organen und der kirchlichen Verwaltung abgetrennt sein, dass keine Berichtspflichten oder Weisungsgebundenheit für die Behandlung von Einzelfällen bestehen. Die Aufgaben der Ansprechstelle können durch Vertrag auf andere übertragen werden.
( 3 ) Die Mitarbeitenden der Ansprechstelle sind gegen den Widerspruch der Betroffenen oder deren Sorgeberechtigten regelmäßig nicht zur Weitergabe von Informationen an kirchliche oder außerkirchliche Stellen berechtigt; dies gilt nicht, wenn eine konkrete Gefahr für die betroffene Person oder weitere Personen besteht.
( 4 ) Die Ansprechstelle erstattet dem Moderamen der Gesamtsynode jährlich einen Bericht über ihre Tätigkeit.
( 5 ) Das Moderamen der Gesamtsynode ergreift die notwendigen Maßnahmen, um der Ansprechstelle dauerhaft einen für ihre Aufgabe notwendigen Bekanntheitsgrad in der Evangelisch-reformierten Kirche und unter den Mitarbeitenden in der Evangelisch-reformierten Kirche zu verschaffen.
( 6 ) Die Ansprechstelle führt Schulungen für haupt- und ehrenamtlich Mitarbeitende in der Evangelisch-reformierten Kirche durch. Näheres regelt das Moderamen der Gesamtsynode.
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§ 7
Hilfsleistungen

Die Evangelisch-reformierte Kirche hilft und unterstützt die Opfer von Verletzungen der sexuellen Selbstbestimmung. Neben den seelsorgerlichen Gesprächen und der Vermittlung einer Erstberatung in einer kirchlichen oder diakonischen Beratungsstelle kann auch Unterstützung durch eine rechtsanwaltliche Erstberatung und therapeutische Hilfe durch ausgebildete Fachleute geleistet werden. Den Angehörigen, Zeugen oder anderen mittelbar Betroffenen sowie betroffenen Einrichtungen und Personenkreisen kann auf Antrag ebenfalls Begleitung und Hilfe vermittelt werden.
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§ 8
Ermächtigungsgrundlage

( 1 ) Das Moderamen der Gesamtsynode erlässt zur weiteren Ausführung dieses Gesetzes Richtlinien zum Umgang mit Verletzungen der sexuellen Selbstbestimmung durch beruflich und ehrenamtlich Mitarbeitende im Wege der Rechtsverordnung.
( 2 ) Das Moderamen der Gesamtsynode ist für die Errichtung einer Ansprechstelle oder den Abschluss eines Vertrages gemäß § 6 Absatz 2 zuständig.
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§ 9
Inkrafttreten

Dieses Kirchengesetz tritt am 1. Januar 2013 in Kraft.

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1 ↑ Nichtamtliches Inhaltsverzeichnis